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Amtshaftung für Mordversuch an Häftling (1 Ob 15/23x)

1. Zusammenfassung:

Der Bund haftet für den Schaden eines Häftlings, der durch einen Mithäftling angegriffen wurde, wenn die erkennbare Gefährdung durch einfache Maßnahmen leicht verhindert hätte werden können.

In concreto wurde ein Häftling – der spätere Kläger – von einem Mithäftling im Schlaf mit einem Messer angegriffen und dabei schwer verletzt. Der Täter wurde deshalb in weiterer

Folge wegen versuchten Mordes verurteilt.

Das Opfer forderte in weiterer Folge vom Bund Schadenersatz, da er seiner Ansicht nach von der Justizwache nicht ausreichend geschützt worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, während das Berufungsgericht das Klagebegehren abwies.

Der Oberste Gerichtshof sprach dem Häftling Schadenersatz zu.

Der verletzte Häftling war bereits seit längerem wegen seiner Herkunft und Religionszugehörigkeit sowie dem Umstand, dass er die Haft für eine Ausbildung nutzte, von einem Zellengenossen „schikaniert“ worden. Es war auch bereits zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Er hatte daher schriftlich und mündlich um Verlegung in einen anderen Haftraum ersucht. Dem wurde jedoch nicht entsprochen. Einige Tage vor dem Messerangriff hatte der Täter bereits versucht, einen anderen Zellengenossen mit einem (Küchen-)Hammer zu attackieren. Darauf reagierten die Justizwachebeamten nicht, obwohl ihnen der Vorfall bekannt wurde.

Die Organe der Beklagten hätten den Kläger, gegen den sich die Aggression des Täters in besonderem Maße richtete, spätestens nach dem versuchten Angriff des Täters auf den anderen Mithäftling vor diesem schützen müssen. Das wäre ihnen leicht durch eine Verlegung eines der beiden Häftlinge möglich gewesen. Da sie dies unterließen, haftet der

Bund für die Verletzung des Opfers durch den Mithäftling.

2. Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist - entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch aus Gründen der Rechtssicherheit - zulässig und berechtigt.

Unterlassungen von Organen eines Rechtsträgers sind rechtswidrig, wenn eine Handlungspflicht bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schaden verhindert hätte RS0081378. Voraussetzung für eine Amtshaftung ist, dass amtswegige Maßnahmen vorzunehmen gewesen wären, die schuldhaft nicht gesetzt wurden (RS0081378).

Nach §102 Abs1 Satz2 StVG ist angemessene Vorsorge dafür zu treffen, dass die Begehung strafbarer Handlungen von und an Strafgefangenen hintangehalten wird.

 

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Im Einzelfall hängen die erforderlichen Schutzmaßnahmen davon ab, inwieweit eine konkrete Gefahr erkennbar war und mit zumutbaren Maßnahmen abgewendet werden hätten können (RS0022778). Maßgeblich für das Entstehen einer Handlungspflicht ist also – bei Fehlen konkreter gesetzlicher Verhaltensvorgaben – die Erkennbarkeit einer naheliegenden und voraussehbaren Gefahr. Je größer eine bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbare potentielle Gefahr für Leib und Leben ist, umso eher muss zur Gefahrenabwehr eingeschritten werden und umso geringer ist das Gewicht, das der Zumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen zukommt (RS0105568).

Wenngleich „Spannungen“ zwischen Häftlingen nie ganz verhindert werden können, wäre zu erwarten gewesen, dass die Organe der Beklagten auf die – über verbale Feindseligkeiten hinausgehenden – Auseinandersetzungen des Klägers mit seinen Mithäftlingen (insbesondere dem späteren Täter) mit angemessenen Mitteln reagierten. Dies wäre jedenfalls nach dem versuchten Angriff des Täters auf seinen Mithäftling mit einem Hammer (was – hätte der Kläger dies nicht verhindert – schwerste Verletzungen oder den Tod bewirken hätte können) zu fordern gewesen. Dieser Vorfall wurde auch (zumindest) einem Justizwacheorgan zur Kenntnis gebracht.

Tatsache ist, dass den Organen der Beklagten es leicht möglich gewesen wäre, der spätestens nach dem Angriff des Täters auf einen Mithäftling mit einem Hammer erkennbaren Gefährdung des Klägers, gegen den sich die Aggression in besonderem Maße richtete, durch eine Verlegung eines der beiden Häftlinge zu begegnen. Dass die Organe der Beklagten nach dem Angriff des Täters auf den Mithäftling untätig blieben und keine Maßnahmen zum Schutz des erkennbar (ebenfalls) gefährdeten Klägers trafen, wobei zumindest die von ihm angestrebte Verlegung in einen anderen Haftraum in Betracht gekommen wäre, kann daher nicht mehr als vertretbar angesehen werden.

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