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Zum Unfallbegriff nach dem Montrealer Übereinkommen (2Ob 148/23p)

  1. Folgender Sachverhalt hat sich am 18.12.2016 ereignet und war Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidung: 

Auf einem von der Beklagten durchgeführten Flug von Tel Aviv nach Wien fiel eine Kanne von einem Servierwagen, der durch die Sitzreihen manövriert worden war. 

Dabei passierte es, dass der Kläger mit heißem Kaffee verbrüht wurde. In Folge begehrte dieser – aufgrund seiner schweren Verbrennungen - die Zahlung von EUR 10.196 sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aus dem Unfallereignis.

Nach Ansicht des Klägers haftet die Beklagte für das fahrlässige Verhalten ihres Personals. 

Dies, nicht nur für die den Unfall auslösende Unachtsamkeit, sondern auch für die unzureichende Erstversorgung der Verletzungen, die der Kläger erleiden musste. 

Insoweit sei auf vorliegenden Sachverhalt österreichisches Schadenersatzrecht anzuwenden, danach seien die Ansprüche nicht verjährt.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass die Verletzungen des Klägers ordnungsgemäß versorgt worden seien. Im Übrigen sei das Klagebegehren angesichts der auf konkreten Fall anzuwendenden zweijährigen Ausschlussfrist abzuweisen.

1.1. Die erste Instanz wies das Klagebegehren ab, da es das Warschauer Abkommen für maßgeblich hielt, da Israel das Montrealer Übereinkommen nicht ratifiziert habe. 

Da Schadenersatzansprüche nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden könnten, sei das Klagebegehren abzuweisen.

1.2. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Ergebnis unter Hinweis darauf, dass Israel das MÜ am 19. 1. 2011 ratifiziert habe und dieses Übereinkommen daher anzuwenden sei. 

Der Begriff „Unfall“ gemäß Art 17 Abs 1 MÜ erfasse laut EuGH auch Vorfälle ohne luftfahrtspezifisches Risiko. Die Haftung nach dieser Bestimmung erstrecke sich grundsätzlich auf alle durch den Unfall hervorgerufenen Personenschäden, wenn das Unfallereignis eine conditio sine qua non für den Schaden sei. 

Der Ersatzanspruch des Klägers sein Ersatzanspruch daher vom Anwendungsbereich des MÜ erfasst werde und infolge der zweijährigen Ausschlussfrist des Art 35 MÜ verfristet sei.

Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob die Ausschlussfrist des Art 35 MÜ auch dann gilt, wenn Schadenersatzansprüche auf eine mangelnde Versorgung der bei einem Unfall an Bord eines Luftfahrzeugs erlittenen Verletzungen gestützt werden, ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu.

In seiner an den OGH gerichteten Revision macht der Kläger geltend, dass die mangelnde Erstversorgung als separates Schadensereignis zu werten, vom Unfallsgeschehen getrennt zu betrachten und vom MÜ nicht umfasst sei, sodass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zur Anwendung komme.


 


 


 


 


 

  1. Zur rechtlichen Beurteilung des OGH


 

Der OGH erkannte, dass die Revision zur Klarstellung der Rechtslage zwar zulässig, aber nicht berechtigt sei. Die Auslegung folgender Bestimmungen des Montrealer Übereinkommens erweist sich als strittig:

Art 17 Abs 1 MÜ:

Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

Art 29 MÜ:

Bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern kann ein Anspruch auf Schadenersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind; die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen, wird hierdurch nicht berührt. Bei einer derartigen Klage ist jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen.

Eine der in Art 29 MÜ angesprochenen Beschränkungen ergibt sich aus Art 35 MÜ:

Die Klage auf Schadenersatz kann nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist oder an dem es hätte ankommen sollen oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist.

Der EuGH entschied, dass Art 17 Abs 1 MÜ dahingehend auszulegen ist, dass die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord eines Luftfahrzeugs, die zu einer Verschlimmerung der durch einen 'Unfall' im Sinne dieser Bestimmung verursachten Körperverletzung geführt hat, als Teil dieses Unfalls anzusehen ist.“

Der EuGH führte aus, dass ein Unfall als ein unvorhergesehenes, unbeabsichtigtes, schädigendes Ereignis zu verstehen ist, wobei nicht verlangt wird, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgeht oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Betrieb oder der Bewegung des Luftfahrzeugs gibt. 

Ein Schadenseintritt kann nicht immer auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt werden, wenn dieser Schaden sich als Folge eines Bündels von Ereignissen darstellt, die einander gegenseitig bedingen. 

In Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Kontinuität zwischen dem Umfallen der Kaffeekanne und der medizinischen Erstversorgung des dadurch verletzten Reisenden besteht unbestreitbar ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Umfallen und der Verschlimmerung der dadurch verursachten Körperverletzung aufgrund der unzureichenden medizinischen Erstversorgung.

Der Senat hat in seinem Ersuchen um Vorabentscheidung bereits festgehalten, dass der Anspruch des Klägers zweifelsfrei nach Art 35 MÜ präkludiert wäre, wenn dessen Verbrühung mit Kaffee und eine daran anschließende unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord des Luftfahrzeugs als einheitliches Geschehen unter den Unfallbegriff des Art 17 Abs 1 MÜ fallen. 

Ein Rückgriff auf nationales Recht – in concreto § 1489 ABGB - ist dann keinesfalls möglich.

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